Zur Synthese des Glockenklangs

Nachfolgend soll an einem Beispiel gezeigt werden, dass der Klang einer Glocke in sehr guter Qualität synthetisch erzeugt werden kann. Als Quelle diente die Aufzeichnung des Klangs der Glocke "La Vinzelle" von 1870. Näheres siehe bei Bill Hibbert, wo sich die Datei vinz.mp3 (48k) befindet, die nach .wav konvertiert und auf rund 4 Sekunden zugeschnitten wurde. Diese Datei Vinz_o.wav diente als Ausgangsmaterial für die Analyse. Die vollständig synthetisch erzeugte Datei Vinz_s.wav sollte ihr möglichst nahe kommen. Abschließend wurde dieser noch als Vinz_sn.wav ein synthetisches Rauschen hinzugemischt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Datei Vinz_s.wav wurde vom ersten bis zum letzten Bit ohne jeden Zugriff auf die Originaldatei auf rein rechnerischem Wege durch ein C-Programm erzeugt.

Vinz_o.wav (214k) Originaldatei
Vinz_s.wav (214k) Synthetika
Vinz_sn.wav (214k) Synthetika mit Rauschen

Eine detaillierte Analyse der Originaldatei zeigt rund 20 Teiltöne, von denen 16 für die Synthese benutzt wurden:

114.10 HzB -17ctResonanzton 1)
155.12 Hzes0 +15ctUnterton
309.97 Hzes1 +13ctPrim
364.09 Hzges1 -8ctTerz
469.74 Hzb1 +33ctQuint
605.65 Hzes2 -27ctOktav 4'
798.67 Hzas2 -48ctQuart 4'
819.82 Hzas2 -3ctQuart 4'
906.43 Hzb2 -29ctQuint 4'
1012.18 Hzc3 -38ctSext 4'
1248.52 Hzes3 +25ctOktav 2'
1622.52 Hzas3 -21ctQuart 2'
2518.35 Hzes4 +40ctOktav 1'
2598.95 Hze4 -5ctNon 1' 2)
2798.86 Hzf4 +23ctNon 1' 2)
2998.79 Hzges4 +42ctDezim 1' 2)
1) Die Herkunft des Tons ist unbekannt. Es könnte eine Resonanz einer anderen Glocke, des Glockenstuhls oder anderer hölzerner Teile der Glockenstube sein.
2) Diese drei Teiltöne sind wahrscheinlich aufnahmetechnisch bedingte Artefakte.

Dass sich der Gesamtklang aus der additiven Überlagerung der Teiltöne ergibt, versteht sich von selbst. Die Kunst der Synthese besteht nun darin, den zeitlichen Amplitudenverlauf für jeden einzelnen Teilton möglichst gut nachzubilden. Es hat sich gezeigt, dass dieser Amplitudenverlauf - auch 'Einhüllende' (engl. 'envelope') genannt - gut approximiert werden kann, indem man diese Funktion durch eine additive Überlagerung einer e-Funktion mit mehreren (3 bis 7, je nach mehr oder weniger filigranem Amplitudenverlauf) gedämpften Sinusschwingungen darstellt, wobei die Bestimmung der Koeffizienten dieser Sinusfunktionen eine recht mühsame Angelegenheit ist. Im vorliegenden Fall wurden die Koeffizienten mit Hilfe einer Tabellenkalkulation in aufwändiger Kleinarbeit durch schrittweise Annäherung bestimmt. Eine algorithmische Bestimmung der 10 bis 18 Koeffizienten eines Teiltonamplitudenverlaufs über die Minimierung der Quadratsumme im Gaußschen Sinne scheitert bisher an massiven Konvergenzproblemen, d. h. es gibt eine Unzahl lokal eng begrenzter Minima. Sind die Koeffizienten zur Beschreibung der Amplitudenverläufe der Teiltöne gefunden, so ist der Rest eine triviale Programmierübung. Es wurden folgende Gleichungen verwendet:

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass synthetisierte Glockenklänge häufig am Anfang ein Ploppen aufweisen, obwohl der Signalverlauf sauber erscheint. Dagegen kann man einen kleinen Trick verwenden: Nach erfolgter Berechnung des Gesamtsignals dämpft man dieses am Anfang, indem man vom Beginn bis zu 2...5 Millisekunden (ausprobieren) mit einem von 0 bis 1 stetig ansteigenden Faktor multipliziert.

Zur Synthese des Läuteklangs

Wenn sich auch der Klang einer Glocke sehr gut synthetisieren lässt, so sind doch einige Dinge zu beachten, wenn man diesen Klang zu einem künstlichen Läuten machen möchte. Das einfache Aneinanderreihen einer Anzahl von identischen Schlägen klingt erwartungsgemäß sehr unrealistisch, wie dieses mangelhafte Beispiel (gewonnen aus obiger Datei Vinz_s.wav) verdeutlicht:  (52k)
Betrachtet man zwei Schläge als eine Schwingung, so kann man bei dieser folgende Verbesserungen anbringen:
1. Die Werte werden mit einem Cosinus-Term multipliziert, so dass die beiden Schläge eine etwas unterschiedliche Lautstärke erhalten.
2. Während des Berechnungslaufes wird an die Teiltonfrequenzen ein Sinus-Term angebracht, um den Doppler-Effekt nachzubilden. Die Stärke kann aus Jochgeschwindigkeit und Größe der Glocke ermittelt, geschätzt oder durch Probieren gefunden werden.
Durch diese beiden Maßnahmen klingt das Läuten schon besser, aber immer noch recht synthetisch:  (52k)
Die nun folgenden Veränderungen wurden nicht im Laufe der Berechnung des Signals, sondern anschließend durch geeignete Soundbearbeitungs-Werkzeuge (wie z. B. CoolEdit) angebracht.
3. Man bringt einen geeignet parametrierten Kurzzeithall an, was die Verhältnisse akustisch harter Glockenstuben (ebenes Mauerwerk, Betonboden) nachbilden kann.
4. Das "Schillernde" oder "Wabernde" der Teiltöne einer real im Turm läutenden Glocke lässt sich durch einen sog. Chorus-Effekt simulieren, der allerdings sehr schwierig so zu parametrieren ist, dass es realistisch klingt.
5. Die Frequenzabhängigkeit der Signalabsorption in der Glockenstube und in dem den Turm umgebenden Freifeld wird durch eine vorsichtige Dämpfung der höheren Frequenzen (weicher Tiefpass) berücksichtigt.
6. Bei Bedarf kann noch ein leichtes Rauschen hinzugemischt werden.
Nach Anbringen vorgenannter Effekte kann man mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden sein:  (52k)
Falls man ein Stereosignal erzeugen möchte, empfiehlt es sich, zwischen den Schritten 3. und 4. aus dem Monosignal ein Stereosignal (dessen beide Kanäle dann den selben Inhalt haben) zu erzeugen und das Stereo-Chorus-Effekt-Signal mit geeigneter Basisbreite einzumischen.

© J. Grabinski 2006