Schlagton oder Nominal?

Sinn und Unsinn in der Fachsprache

Bekanntlich hat es im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts in der Glockenkunde des deutschen Sprachraums einige Änderungen im Vokabular gegeben: Der Begriff Unteroktav wurde durch Unterton ersetzt, und der Schlagton heißt jetzt Nominal. Wenn auch diese neue Sprachregelung inzwischen offizielle Lesart ist und einer wissenschaftlichen Korrektheit Rechnung tragen will, so sei es hier dennoch gestattet, diese kritisch zu hinterfragen.

In Anbetracht der Tatsache, dass der tiefste Teilton einer Glocke nicht notwendigerweise einen Oktavabstand zu Prim oder Schlagton haben muss, ist es sinnvoll, ihn Unterton anstatt Unteroktav zu nennen. Beim Schlagton wird die Sache allerdings etwas problematisch, denn das Hauptargument für die Einführung des Begriffs Nominal war und ist, dass der Schlagton ja letztlich gar kein Ton sei. Damit sind wir nun allerdings bei einem Definitionsproblem angekommen, nämlich bei der Frage 'Was ist ein Ton?'.

Folgende Definitionen sind auf das hier Wesentliche reduziert:
Definition 1
 Ein Ton ist etwas, das eine Frequenz und eine Amplitude hat und von einem Mikrofon wahrgenommen wird.
Definition 2
 Ein Ton ist etwas, das eine Frequenz und eine Amplitude hat und vom Gehirn wahrgenommen wird.

Nun wird der Unterschied deutlich: Nach Definition 1 ist der Schlagton kein Ton, nach Definition 2 ist er sehr wohl einer. Um im Falle der Definition 2 sprachlich unterscheiden zu können, wird ein Ton, der von einem Mikrofon aufgenommen werden kann, als ein realer Ton bezeichnet. Ein Ton, den nur das Gehirn wahrnimmt, wird hingegen ein virtueller Ton genannt. Somit stellt für die Anhänger der Definition 2 das Wort Schlagton einen durchaus sinnvollen Begriff dar, der nicht durch Wort Nominal ersetzt zu werden brauchte. Lustig wird es bei den bewährten Wörtern Hauptschlagton und Nebenschlagton, denn Hauptnominal und Nebennominal wären ja ein Witz und ein Widerspruch in sich.

Schließlich ist noch auf eine Verwechslungsmöglichkeit hinzuweisen: Im englischen Sprachgebrauch wird in der Glockenkunde auch das Wort nominal verwendet. Damit wird aber im Gegensatz zum deutschsprachigen Nominal nicht der Schlagton bezeichnet, sondern der Teilton, den wir Oktave nennen.

Ob das Wort Nominal als eine Modeerscheinung wieder in der Versenkung verschwinden wird, das wird die Zukunft zeigen. Bis dahin empfiehlt sich ein toleranter Umgang mit den Zeitgenossen, die weiterhin den nur scheinbar altmodischen Begriff Schlagton verwenden.

Eine weiterer sprachlicher Missgriff ist der Reversionsklöppel, denn ihn gibt es gar nicht. Wohl gibt es in der Physik ein Reversionspendel, das oben ein Gegengewicht hat, seinen Namen aber dem Umstand verdankt, dass man es auch überkopf aufhängen und schwingen lassen kann. Nun wird man einen Klöppel aber kaum überkopf in die Glocke hängen, so dass das Wort Gegengewichtsklöppel eindeutig die bessere Wahl ist.

© J. Grabinski