Ambrosius von Mailand (um 339 - 397)
Text1,2 | revidierter Text2 | Übersetzung3 | Stundenbuch 1978 | Luther 1524 | |
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1 | Intende qui regis Israel super cherubin qui sedes adpare Ephrem coram excita potentiam tuam et veni. | Intende qui regis Israel super Cherubim qui sedes appare Ephraem coram excita potentiam tuam et veni. | Höre, der du Israel lenkst, der du über Cherubim thronst, erscheine, vor Efraim biete auf deine Macht und komm! | ||
2 | Veni redemptor gentium ostende partum virginis miretur omne saeculum talis decet partus deo. | Veni redemptor gentium ostende partum virginis miretur omne saeculum talis decet partus deo. | Komm, Erlöser der Völker, mache offenbar die Geburt der Jungfrau. Alle Welt soll sich wundern: Solch eine Geburt ist Gottes würdig. | Du Heiland aller Völker, komm und zeig dich als der Jungfrau Sohn dass Staunen fasse alle Welt ob solchem Wunder der Geburt. | Nun komm, der Heiden Heiland, der Jungfrauen Kind erkannt, dass sich wunder alle Welt, Gott solch Geburt ihm bestellt. |
3 | Non ex virili semine sed mystico spiramine verbum dei factum est caro fructusque ventris floruit. | Non ex virili semine sed mystico spiramine verbum dei factum est caro fructusque ventris floruit. | Nicht aus männlichem Samen, sondern durch geheimnisvollen Hauch ist das Wort Gottes Fleisch geworden, und die Frucht des Leibes erblüht. | Nicht von Manns Blut, noch von Fleisch, allein von dem Heilgen Geist ist Gotts Wort worden ein Mensch, und blüht ein Frucht Weibes Fleisch. | |
4 | Alvus tumescit virginis claustrum pudoris permanet vexilla virtutum micant versatur in templo deus. | Alvus tumescit virginis claustrum pudoris permanet vexilla virtutum micant versatur in templo deus. | Der Leib der Jungfrau schwillt an, das Tor der Keuschheit bleibt geschlossen, die Fahnen der Tugenden glänzen, Gott weilt in seinem Tempel. | Der Jungfrau Leib schwanger ward, doch blieb Keuschheit rein bewahrt, leucht hervor manch Tugend schon, Gott da war in seinem Thron. | |
5 | Procedat e thalamo suo pudoris aula regia geminae gigans substantiae alacris occurrat viam. | Procedat e thalamo suo pudoris aula regia geminae gigas substantiae alacris occurrat viam. | Es trete hervor aus seinem Schlafgemach, aus dem Königssaal der Keuschheit, der Held von zweifachem Wesen, eifrig eilt er seinen Weg. | Der Sonne gleich tritt nun hervor aus dem Gemach der reinen Braut und eile strahlend deine Bahn als Held, der Gott und Mensch zugleich. | Er ging aus der Kammer sein, dem könglichen Saal so rein, Gott von Art und Mensch, ein Held, sein Weg er zu laufen eilt. |
6 | Egressus eius a patre regressus eius ad patrem excursus usque ad inferos recursus ad sedem dei. | Egressus eius a patre regressus eius ad patrem excursus usque ad inferos recursus ad sedem dei. | Sein Ausgang führt vom Vater, sein Heimgang führt zum Vater, sein Hinweg bis zur Unterwelt, sein Rückweg zum Thron Gottes. | Von deinem Vater gehst du aus gehst siegreich wieder zu ihm ein; bis in die Hölle dringst du vor und kehrst zu Gottes Thron zurück. | Sein Lauf kam vom Vater her und kehrt wieder zum Vater, fuhr hinunter zu der Höll und wieder zu Gottes Stuhl. |
7 | Aequalis aeterno patri carnis tropaeo accingere infirma nostri corporis virtute firmans perpeti. | Aequalis aeterno patri carnis tropaeo accingere infirma nostri corporis virtute firmans perpeti. | Wesensgleich dem ewigen Vater, rüste dich mit dem Siegeszeichen über das Fleisch, die Schwachheit unseres Leibes stärkend mit fortwährender Kraft. | Der du bist dem Vater gleich, führ hinaus den Sieg im Fleisch, dass dein ewig Gottsgewalt in uns das krank Fleisch enthalt. | |
8 | Praesepe iam fulget tuum lumenque nox spirat novum quod nulla nox interpolet fideque iugi luceat. | Praesepe iam fulget tuum lumenque nox spirat novum quod nulla nox interpolet fideque iugi luceat. | Schon erstrahlt deine Krippe, und die Nacht haucht ein neues Licht aus, das keine Nacht abschwächen soll und das ständig im Glauben leuchte. | Schon leuchtet deine Krippe auf, es haucht die Nacht ein neues Licht, das keine Nacht mehr trüben kann, das stets im Glauben uns erhellt. | Dein Krippen glänzt hell und klar, die Nacht gibt ein neu Licht dar, Dunkel muss nicht kommen drein, der Glaub bleib immer im Schein. |
1 Der Text folgt der in der Bibliotheca Augustana der FH Augsburg publizierten Fassung. 2 Wenn mit fester Silbenzahl gesungen oder rezitiert wird, werden blau dargestellte Buchstaben weggelassen; ia ist ein Vokal. 3 Die Übersetzung ist eine Überarbeitung jener von Paul Klopsch (1985). |
Ambrosius hat diesen Adventhymnus - wie seine anderen Hymnen auch - metrisch im akatalektischen jambischen Dimeter gefasst. Es fällt auf, dass die deutschsprachige Übertragung im Stundenbuch 1978 das Metrum nachvollzieht, wogegen Martin Luther 1524 ebenso wie Markus Jenny 1971 (vgl. GL 108) Jambus samt Akatalexis zugunsten des Trochäus aufgibt. Eine Teilung des Hymnus' in drei Abschnitte ergibt sich dadurch, dass in den ersten beiden und in den letzten beiden Strophen der Adressat direkt angesprochen wird (Deprekative, tuum), in den Strophen 3 - 6 Ambrosius aber die Verben in der 3. Person verwendet. Luther hat seinen Text entsprechend gestaltet, die Übertragung im Stundenbuch benutzt hingegen ausschließlich das Du. Der Hymnus weist einige Zitate auf, die ein Kenner der Vulgata sofort bemerken wird. Aber auch einzelne Wörter scheint Ambrosius mit Bedacht gewählt zu haben, sei es wegen Assoziationen biblischer Texte, sei es wegen Konnotationen oder um eine Sache besonders treffend zu beschreiben. Die erste Strophe des Hymnus' ist im liturgischen Gebrauch anscheinend schon früh weggefallen, so dass er als Veni redemptor gentium bekannt wurde. Auch Luther beginnt seine Textübertragung mit der zweiten Strophe. Bedauerlicherweise hat man weder in der Liturgia Horarum von 1975, noch im Liber Hymnarius von 1983 die verlorengegangene erste Strophe wieder eingefügt.
Wie ein roter Faden zieht sich das gleichzeitig göttliche und menschliche Wesen Jesu Christi durch den Hymnus. Er ist gleichermaßen Gottes Sohn und Menschensohn, wie Augustinus im Sermo 187 formuliert: Nemo ergo credat dei filium conversum et commutatum esse in hominis filium: sed potius credamus et non consumpta divina et perfecte assumpta humana substantia, manentem dei filium, factum hominis filium. [...] Et cum carnem assumpsit ex tempore, ut ad temporalem vitam nostram procederet, non in carne amisit aeternitatem, sed etiam carni praestitit immortalitatem. [...] Et cum hoc esse coepit quod non erat, homo factus est permanens deus. Im Hymnus ist vielfach das Göttliche, Himmlische, mit dem Menschlichen, Irdischen, verknüpft. Des Weiteren merkt man es dem Hymnus an, dass das Konzil von Nicaea zeitlich nicht weit zurückliegt, und dass der Arianismus durch dieses keineswegs beseitigt wurde, sondern auch noch zu Ambrosius' Lebzeiten viele Anhänger hatte. Erst das Konzil von Konstantinopel im Jahre 381 beendete den Arianismus weitgehend und schuf das endgültige christliche Glaubensbekenntnis.
Die erste Strophe des Hymnus' zitiert fast wörtlich Ps 80(79),2-3. Der erste Abschnitt des Psalms lautet
2qui regis Israhel intende qui deducis tamquam oves Ioseph qui sedes super cherubin manifestare | Der du Israel lenkst, höre, der du Josef führst wie Schafe, der du über Cherubim thronst, erscheine! |
3coram Effraim et Beniamin et Manasse excita potentiam tuam et veni ut salvos facias nos | Vor Efraim, Benjamin und Menasse biete auf deine Macht und komm, uns zu erretten! |
4deus [virtutum] converte nos et ostende faciem tuam et salvi erimus | Herr der Heerscharen, stelle uns wieder her, wende uns dein Antlitz zu, so werden wir gerettet sein. |
Die vier Strophen dieses zweiten Abschnitts beschreiben inhaltlich das Geschehen in schlüssiger Abfolge: Die dritte Strophe handelt von der Empfängnis, die vierte von der Schwangerschaft, die fünfte von der Geburt. Schließlich spannt die sechste Strophe mit wenigen, prägnanten Worten den Bogen bis zu Christi Himmelfahrt.
Die dritte Strophe greift den Prolog des Johannesevangeliums auf:
12quotquot autem receperunt eum dedit eis potestatem filios dei fieri his qui credunt in nomine eius | Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Söhne Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, |
13qui non ex sanguinibus neque ex voluntate carnis neque ex voluntate viri sed ex deo nati sunt | die nicht aus Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. |
14et verbum caro factum est et habitavit in nobis et vidimus gloriam eius gloriam quasi unigeniti a patre plenum gratiae et veritatis | Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Einziggeborenen vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. |
Die vierte Strophe, die von der Schwangerschaft handelt, lenkt den Blick auf Maria. Dass Maria ein ganz einzigartiger, auserwählter, besonderer Mensch war, macht Ambrosius schon mit dem ersten Wort deutlich. Das Nomen alvus ist synonym zum üblichen venter, das noch in der Zeile zuvor benutzt wurde, aber es ist ein recht selten gebrauchtes Wort und kommt in der Vulgata nur in Richter und in 2Chronik vor. Zudem hat es eine - wenn man von Eigennamen absieht - äußerst seltene Eigenschaft: Es hat trotz maskuliner Endung -us ein feminines Genus. Ebenso fällt auf, dass im gesamten Hymnus der Name Maria nicht explizit verwendet wird, sondern von ihr stets als virgo die Rede ist. So wundert es nicht, dass gerade diese Strophe viermal einen v-Anlaut enthält (virginis, vexilla, virtutum, versatur). Der Unterschied zwischen tumere und tumescere liegt darin, dass tumere einen Zustand beschreibt, tumescere dagegen einen Vorgang. So wird der Gegensatz zum ohnehin starken, statischen permanet noch verstärkt, wobei diese Verben durch den Chiasmus tumescit virginis - pudoris permanet miteinander verknüpft sind. Auch das vexillum der dritten Zeile ist in der Vulgata selten (je einmal in Numeri und in Jeremia). Der Hymnus vexilla regis, den wir zu vexilla assoziieren, ist erst nach Ambrosius entstanden. Ebenso, wie in der Zeile zuvor pudoris permanet eine Alliteration aufweist, ist dieses in der dritten Zeile mit vexilla virtutum der Fall. Warum betont Ambrosius die Jungfräulichkeit? Zum einen gab es zu Ambrosius' Zeit Christen, sogar Kleriker, die an die virginitas in partu nicht glaubten, zum anderen hielt Ambrosius die Jungfräulichkeit für eine besondere christliche Tugend, die in Maria begründet war. Auch der Ambrosius zugeschriebene Hymnus Agnes beatae virginis enthält die Formulierung claustrum pudoris. Die letzte Zeile setzt nun einen Ruhepunkt durch das in zweifachem Sinne (inhaltlich und grammatisch) passive versatur, das Ambrosius dadurch betont, dass er es durch ein Hyperbaton an den Anfang der Zeile setzt. Außerdem erreicht er damit eine Parallele des statischen versatur zum dynamischen procedat der nächsten Strophe. Das Wort deus ist ein versteckter, kleiner Seitenhieb gegen den Arianismus und wird in der siebenten Strophe noch deutlicher ausgeführt. Die Zeile versatur in templo deus hat noch eine Nebenbedeutung: Ambrosius befürchtete, dass die Marienverehrung ausarten könnte, indem Maria gleich dem Vater, dem Sohn und dem Heiligem Geist angebetet würde, so dass er klarstellt: Maria erat templum dei, non deus templi. Et ideo ille solus adorandus, qui operabatur in templo (Spir. III, 80).
Weil der Hymnus der Adventszeit zugeordnet ist, beginnt Ambrosius die fünfte Strophe, die von der Geburt des Herrn handelt, nicht mit einem Indikativ, sondern konsequenterweise mit dem Optativ procedat gigans. Dass Ambrosius nicht den korrekten Singular gigas verwendet hat, liegt daran, dass in der Vulgata Hieronymi und ihren Vorläufern gigans steht, denn Ambrosius zitiert in der fünften und in der sechsten Strophe des Hymnus' aus Ps 19(18):
6in sole posuit tabernaculum suum et ipse tamquam sponsus procedens de thalamo suo exultavit ut gigans ad currendam viam | In der Sonne hat er sein Zelt aufgeschlagen und selbige, gleich einem Bräutigam hervortretend aus seinem Schlafgemach, frohlockt wie ein Held, den Weg zu eilen. |
7a summo caeli egressio eius et occursus eius usque ad summum eius nec est qui se abscondat a calore eius | Am Ende des Himmels ist ihr Aufgang und ihr Lauf [führt] bis zu seinem Ende, und es gibt nichts, das sich vor ihrer Hitze verbirgt. |
[wird demnächst fortgesetzt...]
© J. Grabinski 2008